In Iran stirbt eine aufstrebende Lyrikerin durch einen israelischen Angriff


Am 13. Juni, als Israel Iran den Krieg erklärte, schlug eine israelische Rakete in ein zehnstöckiges Wohnhaus im Zentrum Teherans ein. Die Detonation zerstörte zunächst die Stockwerke drei bis fünf und liess dann das Gebäude einstürzen. In den Trümmern blieb eine rosafarbene Matratze zurück, darauf ein Haarbüschel. In den iranischen Medien verbreitete sich das Bild. Dazu der Text, dass die Matratze Parnia Abbassi gehöre.
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Ob das stimmt, ist nicht verifiziert. Klar ist: Parnia Abbassi wurde gemeinsam mit ihren Eltern, ihrem 16-jährigen Bruder und den Nachbarn tot aus dem Schutt des Gebäudes geborgen.
Die junge Frau stand kurz vor ihrem 24. Geburtstag, als sie starb. Sie war Lyrikerin und arbeitete auch als Englischlehrerin und Angestellte in einer Bank. Bilder im Internet zeigen sie mit offenen Haaren. Einmal lässig mit einer Sonnenbrille auf dem Kopf und einem Blumenstrauss im Arm, das andere Mal mit ihrer Familie auf einer grünen Wiese stehend.
One of the victims of Israel's strikes on Tehran is Parnia Abbasi, a 24-year-old poet. She was killed along with her younger brother and parents. pic.twitter.com/f98vi4VC3a
— Shirin Jaafari (@Shirinj) June 13, 2025
Parnia war die Tochter eines pensionierten Lehrers und einer Bankerin – beide Zivilisten. Das Gerücht, das in sozialen Netzwerken kursiert, dass Parnia die Tochter des getöteten iranischen Kernphysikers Fereidun Abbassi-Dawani sei, ist falsch. Freundinnen von Parnia und die Literaturzeitschrift «Vazn-e Donya» haben dieser Darstellung öffentlich widersprochen.
Iranische Medien berichten zudem, dass der Kernphysiker in einem Wohnkomplex im Stadtteil Shahrak-e Shahid Mahalati im Norden Teherans lebte. Sein mutmassliches Wohngebäude wurde am 13. Juni ebenfalls schwer beschädigt und er getötet. Parnia jedoch starb in einem Gebäude im zentralen Stadtteil Sattarkhan. Ausserdem ist Abbassi ein häufiger Nachname in Iran. Ob der Kernphysiker Abbassi-Dawani Kinder hatte – und ob diese beim Angriff auf ihren Vater am 13. Juni ebenfalls getötet wurden –, ist nicht bekannt.
Laut Berichten könnte die Rakete auf Parnias Wohnhaus dem Atomwissenschafter Abdolhamid Minoochehr gegolten haben, der wohl im gleichen Gebäude wie die Familie gewohnt hat. Minoochehr war Professor und Dekan an der Fakultät für Nukleartechnik an der Shahid-Beheshti-Universität. Er war unter anderem auf Reaktorphysik und nukleare Simulationen spezialisiert.
Israel hat bislang keine offizielle Stellungnahme zum Tod von Parnia Abbassi veröffentlicht.
Bekannte Literatur-Zeitschrift druckte ihre GedichteGemäss mehreren Medien hatte Parnia eben erst ihr Abschlussexamen in Management bestanden. Ihre wahre Leidenschaft war jedoch die Poesie. In einem Interview erzählte Parnia, wie sie fast täglich aufschrieb, was sie alles erlebte. Zwar habe sie die meisten ihrer Gedichte nie veröffentlicht, aber es sei ihr darum gegangen, ihre Gefühle durch Poesie auszudrücken. «In diesem Sinne schenkt mir das Schreiben Frieden.»
Ihrer Mutter und ihren Freunden habe sie gelegentlich einige ihrer Gedichte gezeigt, sagte sie im Interview. Dann habe sie die Gesichter der Menschen, die sie liebe, beobachtet, während diese ihre Worte gelesen hätten.
Mehrere Gedichte und Literaturkritiken von Parnia wurden in der renommierten iranischen Literatur-Zeitschrift «Vazn-e Donya» veröffentlicht. Diese war es nun auch, die den Tod der jungen Lyrikerin zuerst bestätigte.
Ein eigener Gedichtband von Parnia Abbassi liegt bislang nicht vor. In iranischen Medien heisst es aber, dass sie bis zu ihrem Tod an einer Gedichtsammlung gearbeitet habe, die den Titel «Panjerahā be samt-e Enfejār» (deutsch: Fenster mit Blick auf die Explosion) hätte tragen sollen.
Neben der Todesnachricht veröffentlichte die Zeitschrift «Vazn-e Donya» auch einen Beitrag in den sozialen Netzwerken mit dem Gedicht «der stille Stern» von Parnia Abbassi, das zuvor in einer Sonderausgabe über Dichter der Generation Z veröffentlicht worden war. Darin heisst es:
Du und ich werden ein Ende haben irgendwo.
Das schönste Gedicht der Welt
wird still.In den sozialen Netzwerken trauern viele um Parnia Abbassi. Dabei schreiben einige auch über die Tatsache, dass die junge Frau zwar ein unbeabsichtigtes Opfer des iranischen Erzfeindes Israel geworden ist – aber mit ihren demonstrativ offenen Haaren auch genauso ein Opfer der iranischen Sittenpolizei hätte werden können.
nzz.ch