Ich bin mit zwei Müttern groß geworden – und das ist gut so

So hat unsere Autorin ihr Aufwachsen mit zwei Müttern erlebt.
Dass ich zwei Mütter habe, wissen Fremde oft schon nach drei Sätzen. Sie fragen, warum ich Sydney heiße. Ach so, wegen meiner US-amerikanischen Mutter. Na, dann käme mein Vater wohl aus Deutschland? Aber den gibt es nicht. Und so tauche ich binnen weniger Sekunden tiefer in meine Familiengeschichte ein, als den meisten nach so kurz zurückliegendem Kennenlernen lieb ist.
Genau: Ich habe zwei Mütter. Sie sind lesbisch. Das ist manchen peinlich, "Sorry", sagen sie dann. Anderen ist es egal. Oder sie tun so und kommen dann später "unauffällig" auf das Thema zurück: "Darf ich dich dazu was fragen?" Na klar, reih dich ein. Du bist nicht die erste Person – und das ist nicht schlimm. Viel schlimmer finde ich die Frage selbst, impliziert sie doch, ich müsste mich für meine Familie schämen. Frag einfach – oder lass es.
Erschreckend ist, wie oft ich mittlerweile hören musste, dass uns etwas fehlt, fehlen müsse. Das behaupten übrigens primär Menschen ohne relevante Fachkenntnisse. Viele haben einfach gern eine Meinung, die spätestens dann problematisch wird, wenn sie Einzug in die Politik hält – und uns Regenbogenkindern unsere Rechte nimmt. Nach einer kurzen Phase der Normalisierung wird durch das Erstarken rechter Kräfte auch in Europa wieder öfter das Narrativ bemüht, nur die "traditionelle" Familie sei der Garant für die gesunde Entwicklung eines Kindes. Für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zum Beispiel bilden jene Konstellationen gar "das unerschütterliche Fundament unserer Nation – alternative Familienmodelle können diesem Ideal nicht gerecht werden". Matteo Salvini, stellvertretender Ministerpräsident von Italien, ging sogar so weit, zu behaupten, dass "jede Abweichung von diesem Modell den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft unterminiert". Dabei belegen zahlreiche Studien (im Übrigen schon seit den 80ern), dass es Kindern homosexueller Eltern nicht schlechter geht als jenen von heterosexuellen. Indem ich über meine Familie spreche, möchte ich solch veraltete, diskriminierende Theorien entkräften.
Kindern homosexueller Eltern geht es nicht schlechter als denen heterosexueller – das ist gerade jetzt wichtig zu betonenViele fragen mich als Erstes, ob ich beide "Mama" nenne. Ich nenne die eine "Mama" und die andere beim Vornamen. Das ist seit meiner Geburt so und beeinflusst unsere Beziehung nicht. Was aber eigentlich hinter dieser Frage steckt, ist das Interesse, ob ich ein anderes Verhältnis zu meiner biologischen Mutter habe. Und da lautet die Antwort natürlich: Ja – denn sie ist ein anderer Mensch mit anderen Eigenschaften. Sie ist aber nicht "mehr" meine Mutter als die andere.
Wichtig ist den Leuten aber auch immer mein Vater: Ob ich ihn kenne und ob er mir gefehlt habe? Mir hat kein Vater gefehlt. Meine Mütter sind seit über 30 Jahren zusammen und nach wie vor glücklich verheiratet. Ich hatte zwei funktionierende, äußerst hingebungsvolle Elternteile. Meine Kindheit bestand aus sensationellen Pausenbroten, viel Playmobil und zweimal Hawaii. Aus bitteren Tränen, weil ich keinen Gameboy bekam, und ständigem Streit wegen schlechter Französisch-Noten. Aus Schlafliedern auf Englisch und Deutsch. Aus Toast mit geschmolzener Zimtbutter, wenn ich krank war, und unverhältnismäßig langem Hausarrest, wenn ich Verbote umging. Wer weiß schon, was ein Y-Chromosom daran verändert hätte. Trotzdem war ich natürlich wahnsinnig neugierig, wer der Samenspender ist, immerhin die Hälfte meiner genetischen Identität. Sobald ich volljährig war, durfte ich seine Daten bei der Klinik anfragen. Als im Juli 2014 endlich die E-Mail mit seinem Namen kam, brach ich überraschend in Tränen aus.
Ein lebenslanges Fragezeichen hatte sich plötzlich in Luft aufgelöst – ich war völlig überfordert. Das anschließende Kennenlernen hat mich weniger berührt. Er ist ein toller Mensch, Musiker und Psychiater, das fand ich natürlich cool. Spannend war auch herauszufinden, dass nicht nur Teile meiner Persönlichkeit von ihm kamen, sondern auch acht Halbgeschwister, allesamt aus unterschiedlichen Familien mit zwei Müttern. Das war eine aufregende Zeit. Wir waren damals sogar zusammen in einer Facebook-Gruppe, sprechen heute aber kaum, denn wir verstehen uns nicht als Familie. Die meisten von ihnen wollten nicht mal unseren Spender kennenlernen. Die Ausnahme: ein Halbbruder – als Scheidungskind hat er sich eine engere Beziehung zu ihm und uns gewünscht.
Retrospektiv hätte ich mir lediglich eine Person gewünscht, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht hat. Das hätte ein Geschwisterkind sein können, ein Erwachsener oder eine Cartoonfigur. Die Repräsentanz, der Abgleich zur Außenwelt hat mir gefehlt, das fühlte sich manchmal einsam an. Obwohl meine Eltern offen und sensibel waren, habe ich mich nie getraut, mit ihnen über unsere besondere Konstellation zu sprechen. Ich hatte Angst, ihre Gefühle zu verletzen, und wusste außerdem gar nicht, was genau ich hätte ansprechen wollen.
“Gehänselt wurde ich nur vom deutschen Staat”Viele gehen davon aus, ich sei gehänselt worden. Aber gehänselt wurde ich nur vom deutschen Staat. Weil meine Eltern lesbisch sind, wurde meiner nicht-biologischen, deutschen Mutter der Elternstatus abgesprochen. Ihr stand damals kein Adoptionsrecht zu, anders als bei heterosexuellen Adoptiv- oder Stiefmüttern. Neben zahlreichen bürokratischen Komplikationen, wie beim Eröffnen meines ersten Bankkontos oder bei Zeugnisunterschriften, führte diese diskriminierende Gesetzeslage dazu, dass ich kein Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft hatte, obwohl ich in Frankfurt geboren bin. Zum Glück gilt das Adoptionsrecht mittlerweile auch für gleichgeschlechtliche Ehen – hoffen wir, dass das auch so bleibt.
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