Neues Neil-Young-Album: „Talking to The Trees” kritisiert das Trump’sche Amerika

Schon die Mundharmonika zu Beginn des Songs erinnert an „This Land Is Your Land“, an Woody Guthries positiven Protestsong über ein Amerika, das jedem gehören sollte, an dem jeder Anteil haben kann, unbesehen seiner Herkunft. „This land“, sang Woody Guthrie, „is made for you and me …”. Bei Neil Young heißt der Song allerdings „Silver Eagle“, seine Melodie ist dabei nur minimal entfernt von der Guthries. Es geht darin nicht direkt um einen Vogel, denn Sänger und Silberadler „rollen durch die Zeit“.
Gemeint ist der bildschöne chromglänzende Tourbus Youngs, ein Fahrzeug „voller Geschichten – deinen und meinen“. Der seinen Modellnamen allerdings von der berühmten Ein-Dollar-Münze aus Feinsilber hat - mit dem Adler auf der einen Seite und der einherschreitenden Freiheit auf der anderen.
Der Song kann zugleich als ein persönliches wie auch als ein politisches Statement auf „Talking To The Trees“ gelesen werden, dem 48. Album von Neil Young (79) und dem ersten mit seiner neuen Band Chrome Hearts. Es ist ein Liebeslied an zwei Weggefährten – an den luxuriösen Helfer für die Wochen und Monate der Freiheit „on the road“ und an die Freiheit selbst, die es schwer hat in den USA dieser Tage. Die mehr und mehr in Ketten gelegt wird.
Der Godfather of Grunge, dessen Stern 1966 bei der Country/Folk/Rockband Buffalo Springfield aufging und der sich 1969 dem Folkrocktrio Crosby, Stills & Nash zugesellte, entfesselt auf dem Album, das im Herbst 2024 in den Shangri-La-Studios im kalifornischen Malibu eingespielt wurde, kein Gitarrengewitter, wie es die ersten Liveauftritte seiner Chrome Hearts vermuten ließen. Lärmig wird es nur, wenn er mit seinen Mannen gegen die Trump-Administration anspielt.
„Big Change“, schon im Januar zu Trumps Inaugurationsfeier als Single veröffentlichter dröhnender Rocker, erzählt zu verzerrten Akkorden von versprochenen „kommenden großen Veränderungen“ im Land.
Der Song erscheint als Blick auf den republikanischen US-Wahlkampf: Die einfachen Leute Amerikas sind in „Big Change“ den politischen Versprechen gegenüber unsicher. Young sieht die Welt aus ihrer unschlüssigen Sicht: „Könnte übel werden, könnte großartig werden.“
Was gesagt wird, „sieht nach einer Kollision aus“, singt Young. Mit „Du musst tun, was du tun musst“, lässt er jedem Einzelnen die Freiheit der Entscheidung: „Geh rauf in die Berge oder geh‘ runter in die Stadt.“ Aber wenn er von den „großen Trommeln“ des „big change” erzählt, laufen sie für ihn „in die falsche Richtung“.
Young, Kanadier, der seit 2020 auch die US-Staatsbürgerschaft besitzt, hat sich zuletzt heftig mit Trump angelegt. Als der US-Präsident den Sänger und Songwriter Bruce Springsteen nach dessen erster Rede gegen die Trump-Administration beim E-Street-Band-Konzert in Manchester wüst beleidigte und ihm überdies drohte, man werde sehen, was passiert, wenn er nach Hause zurückkomme, stand Young dem Kollegen aus New Jersey bei. „Bruce und Tausende von Musikern denken, dass du Amerika ruinierst. Und du kümmerst dich lieber um so etwas, statt um die sterbenden Kinder in Gaza“, schrieb Young auf seiner Website in Richtung Trump.
Neil Young auf seiner Website über Bruce Springsteens Trump-Brandrede
Und fügte (unter anderem) hinzu: „Ich habe keine Angst vor dir. Und der Rest von uns auch nicht.“ Der mit „Neil Young und viele andere“ unterzeichnete Post endete mit: „Wacht auf, Republikaner! Dieser Kerl ist außer Kontrolle. Wir brauchen einen richtigen Präsidenten.“
In einem weiteren Post auf seiner Website wandte Young sich dann direkt an den Trump-Kritiker Springsteen: „Als kanadisch-amerikanischer Doppelbürger schließe ich mich der großen Mehrheit an und danke dir, dass du so wortgewandt und wahrheitsgemäß im Namen des amerikanischen Volkes gesprochen hast“, sagte Young. „Wir sind auf deiner Seite, mein alter Freund. Deine großen Lieder von Amerika klingen authentisch, wenn du sie Europa und der Welt vorsingst!“
Im April hatte Young noch Befürchtungen bezüglich seiner eigenen, am kommenden Mittwoch (18. Juni) im schwedischen Rättvik beginnenden Europatour geäußert: „Wenn ich über Donald J. Trump spreche, gehöre ich vielleicht zu denen, die nach Amerika zurückkehren und mit Hausverbot belegt oder ins Gefängnis gesteckt werden, wo sie auf einem Zementboden unter einer Aluminiumdecke schlafen.“
Ist der Text von „Big Change“ noch von einem gewissen Hineindenken in die geprägt, die 2024 der Make-America-Great-Again-Rhetorik 2024 folgten, wird Young in „Let’s Roll Again“ zorniger und lyrisch direkter (zugleich weit weniger kunstvoll). Die traditionellen US-Automarken wie General Motors, Ford und Chrysler sollten gegenüber China wieder stärker werden, fordert der Autonarr ganz konkret.
Sein Wirtschaftspatriotismus gilt indes nicht allen. Gegen Elon Musk, den sich derzeit wieder Donald Trump annähernden Tech-Milliardär und E-Auto-Bauer, feuert er eine Breitseite: „Wenn du ein Faschist bist / dann hol‘ dir einen Tesla. / auch wenn er ein Elektroauto ist, / spielt das keine Rolle.“
Young singt neue Texte zu „This Land is Your Land“Und ein weiteres Mal wählt er die Melodie von „This Land Is Your Land“ - des Brückenbauer-Songs von Woody Guthrie, auf dessen Gitarre Anfang der 40er-Jahre zu lesen stand: „Diese Maschine tötet Faschisten“. Auch diese neuerliche Leihnahme erweist sich als Statement gegen die Regierung. Freilich erinnert der Titel des Lieds zugleich an eine der dunkelsten Stunden Youngs – an den kriegerischen Rachesong „Let’s Roll“, den er 2002 nach den Anschlägen von 9/11 herausbrachte.
Mit fremden Melodien hat der Mann mit dem schlingernden, larmoyanten Timbre es diesmal. Der Albumöffner „Family Life“ erinnert an Gordon Lightfoots Obdachlosenballade „Early Morning Rain” und weist ins Privatleben des Musikers. Über seine Kinder und Kindeskinder singt er jetzt und klagt, dass er seine Enkel nicht sehen darf (der „Rolling Stone“ berichtete von einer Entfremdung zwischen ihm und Tochter Amber Jean nach dem Tod ihrer Mutter Pegi am 1. Januar 2019).
Dann rühmt er seine dritte Ehefrau, die Schauspielerin Daryl Hannah („Blade Runner“, „Kill Bill 1 & 2“), sie sei „meine beste Frau von allen / die beste Köchin auf der Welt“. Ein - mit Verlaub - altbackenes Frauenbild.
Musikalisch ist das Album weitgehend gelungen, das solide Debüt einer motivierten Band, die nicht von ungefähr die Initialen gemein hat mit Youngs ikonischer Rock’n’Noise-Gemeinschaft Crazy Horse. Die Chrome Hearts bestehen aus Anthony LoGerfo am Schlagzeug und Bassist Corey McCormick, an den Keyboards sitzt mit dem 82-jährigen Spooner Oldham eine Legende in eigenem Rang, zugleich ein langjähriger Begleiter Youngs.
Und Gitarrist Micah Nelson, mit 35 Jahren jüngster Spross des 92-jährigen Country-Outlaws Willie Nelson, wurde von Crazy Horse „übernommen“, zu denen er erst Anfang 2023 gestoßen war. Er habe damals von Young wissen wollen, an welchem der großen Crazy-Horse-Gitarreros er sich orientieren solle, erzählte Nelson dem Instrumentemagazin „Guitar World“ - Danny Witten, Nils Lofgren oder Frank ‘Poncho’ Sampedro. Young hatte nur eine Anforderung: „Sei ehrlich zu der Musik.“
Das traute „First Fire of Winter“ über das Idyll eines Hüttenfeuers zu Beginn der kalten Jahreszeit, wenn es Zeit ist, „Holz und Gefühle zu sammeln“, ist ein folkiges Schätzchen, das auch auf Youngs Alben „Harvest“ (1970) und „Harvest Moon“ (1992) gepasst hätte. Im schunkeligen Titelsong schmurgelt die Orgel von Oldham tröstlich, als Young, in der Schlange eines Bauernmarkts stehend, an Bob Dylan, den Meister des Protestsongs, denkt und an all die großen Lieder, die dieser gesungen hat.
Am Ende kommt mit „Thankful“ (das mit seiner Ähnlichkeit zum Song „Harvest Moon“ das Young’sche Bonmot bestärkt, wonach „alle Songs ein Song“ sind), noch ein Ausblick ins Private, der mit – was sonst - einer Mundharmonika schließt.
„Ich bin dankbar für das Leben, das wir haben“, singt Young da, „die Art, wie wir lieben / die Art, wie wir lieben“. Und dass er dankbar wäre, „könnten wir hier noch etwas länger bleiben“. Das wünscht man ihm und all seinen Fans, umso mehr, als am Samstag eine schockierende Nachricht bekannt wurde.
Die nämlich, dass Menschen, die für ein weiterhin demokratisches Amerika stehen, in einer Vorstadt von Minneapolis ermordet wurden: Melissa Hortmann, Politikerin der Demokratischen Partei, und ihr Mann Mark wurden Opfer eines Anschlags, der State Senator John Hoffman und seine Frau Yvette wurden schwer verletzt. Von einem „Akt gezielter politischer Gewalt“ sprach Minnesotas Gouverneur Tim Walz, bei der Präsidentschaftswahl 2024 Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten der Demokratischen Partei.
Im politisch gespaltenen Amerika ist Blut geflossen. Vor Minnesotas State Capitol fand am Samstag trotzdem oder gerade deswegen eine „No Kings“-Demo gegen Trump statt, vor der die Polizei gewarnt hatte, und Generalstaatsanwalt Keith Allison rief auf zu einer Bewegung „to oppose the dictator“.
Es wäre an der Zeit für Young, „This Land Is Your Land” mal mit dem richtigen Guthries Brückenbauer-Text zu singen, vielleicht als Duett mit Bruce Springsteen, der es schon seit 1980 gelegentlich performt, und es für „eins der schönsten Lieder“ hält, „die je geschrieben wurden“. Derzeit (und am 15. Juni in Prag) geleitet Youngs „alter Freund“ das Publikum mit Guthries Originalversion am Ende seiner Europakonzerte aus den Stadien.
Neil Young & The Chrome Hearts – „Talking to The Trees” (Reprise Records/Warner) – erschienen am 13. Juni
Deutschlandtermine der „Love Earth“-Tour von Neil Young & The Chrome Hearts 2025: 3. Juli – Berlin, Waldbühne; 4. Juli – Mönchengladbach, Sparkassenpark; 8. Juli – Stuttgart, Cannstatter Wasen
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