Schönheits-OPs: Warnung vor unqualifizierten Behandlern und Risiken

Die Narben seien fürchterlich gewesen, erinnert sich Helge Jens an eine Patientin vom vergangenen Montag. „Und ein Implantat saß viel zu hoch.“ Die Frau hatte eine Brustvergrößerung hinter sich, sei dafür zu einer Beauty-Kette gegangen. Der zuständige Arzt sei noch jung gewesen, sagt Jens. Das Ergebnis der Operation nennt er diplomatisch „suboptimal“. „Das ist aufwendig, aber man sollte es korrigieren. Die Patientin soll schließlich lange damit leben.“
Jens ist Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. Ein Titel mit Aussagekraft: Denn dahinter steckt nicht nur das meist sechsjährige Medizinstudium, sondern eine ebenfalls sechsjährige Facharztausbildung. Ähnlich klingende Titel wie „Schönheitsspezialist“ oder „Beauty Doc“ sind dagegen nicht geschützt. Und rund 40 Prozent der Patientinnen und Patienten kennen diesen Unterschied nicht. Das zeigt eine Befragung der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC), der Jens vorsitzt.
Es herrscht also Verwirrung. Das kritisiert die Wettbewerbszentrale. „Die Bezeichnung von Ärzten, die in diesem Bereich tätig sind, beschäftigt uns immer wieder”, sagt ein Sprecher. „Die Fallzahlen liegen aber in einem niedrigen Bereich.“ Vor Kurzem habe die Zentrale vor dem Landgericht Bochum gegen eine Ärztin geklagt, die sich als „Ärztin für Schönheitsmedizin“ bezeichnete – mit Erfolg. Wichtig sei bei selbst gewählten Titeln, dass diese Patientinnen und Patienten nicht in die Irre führen, heißt es von der Wettbewerbszentrale.
Denn wer sich bei einer unerfahrenen Person in Behandlung begibt, geht ein Risiko ein, und sollte sich dessen bewusst sein: Facharzt Helge Jens beobachtet in seiner Klinik in Aachen, dass immer häufiger Patientinnen zu ihm kommen würden, um Operationen zu korrigieren, die unqualifizierte oder unerfahrene Behandler zu verschulden haben.
Die Rechtslage erscheint locker: Jeder approbierte Arzt darf theoretisch jede medizinische Handlung durchführen. Praktisch greifen jedoch einige zivil-, straf- und berufsrechtliche Vorgaben, die gemeinsam aussagen: Ärztinnen und Ärzte dürfen nur die Eingriffe vornehmen, für die sie qualifiziert sind.
Was das genau heißt, ist schwammig. Auch Heilpraktiker (meistens rund zwei Jahre Ausbildungszeit) dürfen mit Hyaluronsäure Falten unterspritzen. Botox dagegen ist für diese Berufsgruppe tabu, weil es ein verschreibungspflichtiges Medikament ist. Dennoch gibt es Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker, die Behandlungen mit Botox illegal anbieten. „Das Phänomen rund um die illegale Behandlung mit Botox ist bekannt“, sagt ein Sprecher des Bundeskriminalamts. Statistiken dazu gibt es aber nicht.
Im Internet bieten diverse Ärztinnen und Ärzte Online-Kurse zu Botoxbehandlungen für fachfremde Kolleginnen und Kollegen, aber auch Heilpraktikerinnen und Heilpraktiker an. Zum Beispiel verspricht auf einer Website ein gut gelaunter Doktor in weißem Laborkittel die Grundlagen zum Arbeiten mit Botox im Gesicht in nur 90 Minuten zu lehren. Preis: 299 Euro – und ein Zertifikat gibt es auch. „Du bist Arzt oder Heilpraktiker und möchtest Botox spritzen lernen?“, steht daneben.
Eine dieser Websites ist in Baden-Württemberg gemeldet. „Der Kurs ist gegebenenfalls aber noch nicht strafrechtlich relevant“, sagt ein Sprecher des zuständigen Landeskriminalamts dem RND. Es sei eine Grauzone und müsse im Einzelfall geprüft werden. „Es ist nicht verboten, den Kurs anzubieten, solange der Inhalt nicht illegal ist. Wenn wir jedoch mitbekommen, dass Heilpraktiker das Gelernte umsetzen, ermitteln wir.“ Und auch in diesem Fall würde das LKA nun den Inhalt des Kurses überprüfen. Ohne Verdacht würden die Polizistinnen und Polizisten im Internet aber nicht nach solchen Kursen oder nach Heilpraktikern, die Botox spritzen, suchen.
Aber warum ist es problematisch, dass wenig erfahrene Personen Falten unterspritzen? „Das Problem ist zum Beispiel die Anatomie des Gesichts“, sagt Jens. Nicht jede Ärztin oder jeder Heilpraktiker würde diese zur Genüge kennen – und ein zweistündiger Kurs reiche nicht. In seiner Ausbildung zum Facharzt habe er etliche Stunden damit verbracht, sie zu lernen und unzählige Botox- und Hyaluron-Behandlungen unter Anleitung eines Oberarztes durchgeführt.

Helge Jens ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC).
Quelle: DGÄPC
Wer dagegen ohne fundiertes Anatomiewissen spritze, könne Gefäße treffen und sie verstopfen. „Wenn Sie Hyaluronsäure spritzen und eine Versorgungsarterie des Auges treffen, kann die Person erblinden“, sagt Jens. Auch erfahrene Fachärztinnen und Fachärzte könnten diesen Fehler machen. Doch die würden eher wissen, wie sie das Gerinnsel wieder auflösen und Schäden verhindern. Deswegen fordert der Vorsitzende der DGÄPC einen Facharztvorbehalt für ästhetische Eingriffe, wie er zum Beispiel in Frankreich gesetzlich festgelegt ist.
Helge Jens,
Facharzt und Klinikleiter über den Umgang mit Hyaluronsäure
Solche Gesetze werden von den jeweiligen Landesärztekammern festgelegt, die sich an Empfehlungen der Bundesärztekammer (BÄK) halten. Es gebe bereits eine „bundesweit einheitliche Facharztqualifikation zur Ausübung plastisch-ästhetischer Operationen“, sagt eine Sprecherin der BÄK. So würden Patientinnen und Patienten besser zwischen Fachärzten und selbst ernannten „Schönheitschirurgen“ unterscheiden können. Dazu würden zum Beispiel auch Fachärztinnen und Fachärzte für Gesichtschirurgie zählen, die sich in diesem Bereich weitergebildet haben.
Patientinnen und Patienten sollen also selbst urteilen, von einer gesetzlichen Regelung ist keine Rede. Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums betont auf RND-Anfrage, dass sowohl Ärztinnen als auch Heilpraktiker verpflichtet seien, sich bei einer Behandlung an „allgemein anerkannte fachliche Standards“ zu halten. So seien zum Beispiel Ärztinnen und Ärzte durch ihre Berufsordnung verpflichtet, sich nach Bedarf fortzubilden.

Haartransplantationen sind ein Milliardengeschäft, auf das sich besonders die Türkei versteht: Sie ist das Ziel Nummer eins für Gesundheitstouristen im Kampf gegen Haarausfall. Ein türkischer Schönheitschirurg meint: „Was für Frauen ihr Make-up ist, ist für Männer ihr Haar.“
„In Bezug auf die heilpraktische Tätigkeit ist das Bewusstsein über die eigenen Fähigkeiten zudem Gegenstand der Überprüfung der Heilpraktikeranwärterinnen und -anwärter, die im Sinne einer Gefahrenabwehrprüfung durchgeführt wird und explizit auch auf die Frage des Patientenwohls ausgerichtet ist“, so das Ministerium. Zudem stünde in der freiwilligen Berufsordnung der Heilpraktiker, dass sie sich stets der Grenzen ihres Könnens bewusst sein sollten.
Doch es gibt schwarze Schafe, die diese Gesetzgebung ausnutzen. Die als „Beauty Docs“ oder „Schönheitschirurgen“ Eingriffe anbieten, die sie nicht fundiert erlernt haben – und so ein Risiko eingehen. Warum? Die Antwort ist erwartbar: Geld. „Jemand, der direkt nach dem Studium in einer ‚Beauty Klinik‘ anfängt, verdient schneller und mehr Geld als in der Facharztausbildung“, sagt Jens. Denn der Markt der ästhetischen Chirurgie wächst. Anders als in den meisten medizinischen Bereichen zahlen die Patientinnen und Patienten ihre Behandlung selbst und greifen dafür tief in die Tasche. „Deshalb ist das Feld sowohl für junge Ärztinnen als auch fremde Fachärzte reizvoll.“
Wenn eine behandelnde Person mit Rabattaktionen wirbt oder sehr niedrige Preise ansetzt, sollten Interessierte stutzig werden, betont Jens. „Sonderpreise haben im medizinischen Bereich nichts verloren.“ Und wer deutlich billiger arbeite als die Konkurrenz, würde möglicherweise billigere Medikamente beziehen. „Es gibt Ärzte, die Medikamente verwenden, die so in Deutschland nicht zugelassen sind.“ Deren Patientinnen und Patienten würden lediglich unterschreiben müssen, dass sie damit einverstanden sind. „Dann bekommen sie vielleicht Botox, das nicht den deutschen Reinheitskriterien entspricht.“
Vermeintliche Sparfüchse müssen für Korrekturen dann möglicherweise noch mehr Geld ausgeben. Wer schön sein will, muss zahlen.
rnd